„Sieg der Vernunft und der Kompetenz“

Erleichterung bei Otmar Heirich: Im zweiten Wahlgang stimmten 49,6 Prozent der Wähler für den Amtsinhaber

Beifall brandete gestern Abend in der Glashalle auf, als der letzte Wahlbezirk ausgezählt war. 49,6 Prozent stimmten für Otmar Heirich. 32 Prozent hatten Bürgermeisterin Claudia Grau auf dem Stimmzettel geschrieben – Erfolg einer Internet- und Flugblatt-Kampagne. Für Sebastian Kurz gab es noch 12,3 Prozent, Andreas Deuschle wählten 483 Nürtinger (3,95 Prozent).

VON ANNELIESE LIEB UND ANDREAS WARAUSCH

NÜRTINGEN. Erleichterung bei Otmar Heirich. Im zweiten Wahlgang sprachen dem amtierenden Oberbürgermeister 49,57 Prozent der Wähler ihr Vertrauen aus. Die Wahlbeteiligung lag bei 42,7 Prozent – damit war sie in etwa so hoch wie beim ersten Wahlgang.
„Ein Sieg der Vernunft und der Kompetenz“, sagte Heirich in der brechend vollen Glashalle. Für die Zukunft wünscht sich der 60-jährige Rathauschef mehr Gemeinsamkeit, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Allen, die guten Willens seien, reiche er die Hand zur Zusammenarbeit. Sein Wunsch: „Dass wir in Nürtingen in Zukunft wieder positive Schlagzeilen schreiben.“ Heirich dankte all seinen Wählern, den Gegenkandidaten Bihn, Geier-Baumann, Kurz und Deuschle für den fairen Wahlkampf und allen, die ihn nach dem ersten Wahlgang ermutigt hatten weiterzumachen und ihn unterstützt hatten. Als Heirich dann seiner Ehefrau und den Kindern für den Rückhalt dankte, den sie ihm in der schwierigen Wahlkampfphase geboten hatten, wurde seine Stimme brüchig und man sah an den Tränen, die er zu unterdrücken versuchte, dass eine große Anspannung von ihm abfiel.
Für die nächsten Jahre wünscht sich der Oberbürgermeister, der im Gespräch einräumte, auch Fehler gemacht zu haben, dass vom Gemeinderat getroffene Entscheidungen auch akzeptiert werden.
Die erste Gratulantin war Bürgermeisterin Claudia Grau. Sie nahm den Oberbürgermeister ganz herzlich in die Arme. Ein sichtbares Zeichen für die Bürger, dass beide, Heirich und Grau, in den nächsten Jahren zum Wohle der Stadt an einem Strang ziehen wollen.

„Nürtinger sind verantwortungsvoll mit den Stimmen umgegangen“
Bürgermeisterin Claudia Grau

War es ein Anflug von Erleichterung, der angesichts des Wahlergebnisses über Claudia Graus Gesicht huschte? Die Bürgermeisterin interpretierte das Wahlergebnis so: 82 Prozent der Wähler hätten „Verwaltungserfahrung“ gewählt, sagte sie. Dies sei ein Beweis dafür, dass die Nürtinger Bürger verantwortungsvoll mit ihren Stimmen umgegangen seien. „Das ist ein sehr gutes Ergebnis“, sagte sie zum Stimmenanteil ihres Chefs, des neuen und alten Oberbürgermeisters.
„Geschmeichelt“ sei sie davon, dass 32 Prozent der Wähler ihren Namen zusätzlich auf die Stimmzettel schrieben. Dieser Umstand zeige, dass der von ihr eingeschlagene Weg richtig sei. Ihre Arbeit komme bei den Bürgern an. Claudia Grau: „Das zeigt, dass es richtig ist, was ich tue.“ Nun gelte es, die aufgerissenen Gräben wieder zuzuschütten. Sie werde alles dafür tun, dass dies gelinge, unterstrich sie. Auch die Bürger, die die Kampagne für sie starteten, hätten ein „ganz legales Wahlrecht“ genutzt.
Nichts mit dem Ausgang der Wahl hatte Sebastian Kurz zu tun. Er stürzte von satten 25,64 Prozent im ersten Wahlgang auf nur noch 12,3 Prozent gestern ab. Damit verlor er mehr als die Hälfe seiner Wähler. Woran lag’s? Es seien die Geschehnisse der letzten zwei Wochen gewesen, sagte der sichtlich enttäuschte Kandidat mit CDU-Parteibuch. „Das Ergebnis tut weh“, bekannte er freimütig. In der Presse war von Urheberrechtsverletzung zu lesen. Auf Verfehlungen, die er sich bei seiner Arbeit für verschiedene Rettungsdienste geleistet haben soll, war er angesprochen worden. Er wisse nicht, ob eben die Urheberrechtssache, die Malteser-Geschichte oder auch die Kampagne für Claudia Grau ausschlaggebend für sein schlechtes Wahlergebnis gewesen sei. „Das ist schwer zu sagen“, sagte er. Auf jeden Fall aber bleibe er der Politik erhalten, machte er noch gestern Abend klar. Er müsse nur erst die Enttäuschung wegstecken.

Enttäuschung bei OB-Kandidat Andreas Deuschle

Der 43-jährige Andreas Deuschle hatte mit dem Oberbürgermeister-Wahlkampf absolutes Neuland betreten. Der Personaltrainer und Eventmanager war angetreten, um die Stadt sportlich und kulturell voranzubringen. Dass er im zweiten Wahlgang allerdings weniger Stimmen bekommen hatte als in der ersten Runde, darüber war Deuschle dann doch enttäuscht. Von 5,84 Prozent war er auf 3,95 Prozent zurückgefallen. Für ihn sei der Wahlkampf eine Herausforderung gewesen. Er habe daraus viel gelernt, zog er gestern sein Resümee.
Gegen 18.07 Uhr wurde aus dem Wahllokal Roßdorfschule B das erste Wahlergebnis gemeldet und kurz darauf meldete sich auch schon das Wahllokal Amtsgericht. Hier sah es so aus, dass es kein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Otmar Heirich und der Ersten Bürgermeisterin werden würde. Als dann allerdings die Wahlergebnisse vom Kindergarten Rümelinstraße und aus der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule eintrafen, jubelten die Grau-Befürworter. Dort wohnt auch Raimund Popp, der die Internet- und Flugblatt-Kampagne befördert hatte. Die 32 Prozent für Claudia Grau sind ein Zeichen dafür, dass die Wahlaktion in der Nürtinger Bevölkerung ein nicht zu unterschätzendes Echo gefunden hat. Diejenigen allerdings, die darauf gehofft hatten, mit dieser Kampagne den amtierenden Oberbürgermeister vom Amtssessel verdrängen zu können, verließen gestern Abend enttäuscht und mit bittersüßer Miene die Glashalle.
Derweil die Stadtkapelle ihre musikalischen Glückwünsche überbrachte, reihten sich viele Nürtinger Bürger, aber auch einige Bürgermeister aus den Nachbargemeinden in die lange Schlange der Gratulanten ein, um Otmar Heirich zu beglückwünschen.