Heirich legt vor allem in den Ortschaften zu
Gerade in den Stadtteilen erzielte der amtierende Oberbürgermeister zum Teil glänzende Ergebnisse
WeiterlesenVON ANDREAS WARAUSCH
NÜRTINGEN. 900 Bürger waren zur Veranstaltung der Nürtinger Zeitung mit den OB-Kandidaten geströmt, zur offiziellen Vorstellung der Stadt kamen noch einmal 700. Ins Roßdorf pilgerten rund 100, deutlich mehr waren es gestern noch einmal in der Kreuzkirche, wo es um das wohl oder übel allumfassende Thema „Stadtentwicklung in Nürtingen – Ökologisch, ökonomisch, sozial“ gehen sollte.
Sollten dann also tatsächlich viele noch nicht wissen, wo sie denn nun am Sonntag ihr Kreuzchen machen? Moderator Roland Kurz, Journalist aus Esslingen und mit OB-Kandidat Kurz nach eigenem Bekunden weder verwandt noch verschwägert, sah auf jeden Fall den vorgestrigen Ort des Geschehens als Omen: Er fragte sich am Ende, ob für die Gäste nun ausgerechnet in der Kreuzkirche die Kreuzfrage beantwortet wurde. Diese Frage wiederum muss jeder für sich selbst beantworten. Roland Kurz glaubt zumindest, dass, wenn man denn nun schon nicht wisse, wen man wähle, man wenigstens wissen könne, wen man nicht wähle. Aha.
Gab’s denn nun wirklich Antworten auf offene Fragen? Zuerst einmal gab’s jedenfalls ein ausgeklügeltes aber dennoch oder gerade deshalb verwirrendes Prozedere. Sechs Veranstalter galt es unter einen Hut zu bringen. Jeder wollte auf seinem Spezialgebiet den Kandidaten auf den Zahn fühlen. Als da wären die Nürtinger Runde bestehend aus den Umweltverbänden Bund und Nabu sowie der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nürtingen. Dazu gesellten sich der Trägerverein Freies Kinderhaus, der Frauenrat Nürtingen und der Stadtjugendring.
Also gab’s sechs Themenkomplexe. Für jeden hielt ein Bürgerpate ein meist, aber nicht immer, kurzes Impulsreferat und formulierte jeweils vier Fragen, die so genau waren, dass sie für das Publikum mit einem Beamer visualisiert werden mussten, damit sie nicht alsbald in Vergessenheit gerieten. Dann musste er noch in einen Lostopf greifen, um den zu ermitteln, der zum Thema als erster drei Minuten lang Stellung nehmen durfte. Die restlichen vier Kandidaten sollten dann zu den Einlassungen des Ausgelosten eine Minute lang selbst reden. Der Pate und der Moderator durften dann noch nachfragen. Uff!
Kein Wunder, dass Moderator Kurz gleich eingangs unterstrich, dass die Bürger mangels Zeit keine Fragen stellen könnten. Wenigstens sollten die Kandidaten nach der offiziellen Show sich noch zur direkten Ansprache bereithalten. Kandidaten zum Anfassen – für die, die nach über zwei Stunden noch nicht genug hatten.
Attacken gegen den Amtsinhaber blieben Mangelware
Kuschelig ging es dann auf dem Podium zwar nur beinahe zu. Aber von einem Wahlkampf in der heißen Phase war nicht viel zu spüren. Attacken gegen den Amtsinhaber, den es ja nun für die Herausforderer nicht beim Wahlkampf zu begleiten, sondern abzulösen gilt, blieben Mangelware. Warum? Aus Hang zur Sachlichkeit? Auf konkrete Fragen konkret und mit Sachverstand zu antworten, schien manch einen und manch eine zumindest sehr zu beschäftigen. Manch einer kann da natürlich argwöhnen, dass es eben der Amtsbonus des Amtsinhabers ist, am tiefsten in den Sachthemen zu stecken. Kritisieren wird das wiederum keiner können.
Dennoch oder gerade deshalb ging’s manchmal doch zur Sache: Da behauptete Raimund Bihn doch glatt, die geplante Biogasanlage würde Sondermüll verursachen, weshalb er sie ablehne. Was bei Amtsinhaber und Anlagenbefürworter Heirich wiederum nach Beobachtung von Moderator Kurz beinahe zu einem platzenden Kragen geführt hätte. Die Gestattung einer spontanen Richtigstellung schuf Abhilfe. Dann durfte gleich noch jeder sagen, wie er es mit der Biogasanlage halte: Sebastian Kurz befürwortet sie ebenfalls, Friedrich Buck grundsätzlich auch, er will aber doch lieber die Bürger entscheiden lassen. Petra Geier-Baumann wiederum wohnt nach eigenem Bekunden in der Nähe des geplanten Standorts, sie wünschte sich eine kleinere, dezentrale Anlage. Alles ganz konkret, oder?
Nichts Neues gab’s indes von der doch eigentlich heiß umkämpften Bürgerbeteiligungsfront. Während der Amtsinhaber bei Gelegenheit beteuerte, dass die Bürger künftig mehr beteiligt werden sollten, schrieben sich die anderen Kandidaten diese Bürgerbeteiligung natürlich bei Gelegenheit sowieso auf die Fahnen.
Zum von Roland Appl vom Nabu vorgestellten Themenkomplex „Natur“ gab’s gleich noch ein Wortgefecht – oder zumindest ein Scharmützel. Sebastian Kurz sollte Otmar Heirich konkret benennen, wo er denn direkt in der Stadt mehr Bäume pflanzen wolle. Das könne er, Kurz, nicht, weil er, Heirich, überall Beton hingeklatscht habe.
Und noch einmal Natur: Wie soll es mit dem Hochwasserschutz weitergehen? Im Tiefenbachtal? Am Neckar? Oh, da tauchte es dann doch auf, das kommunale Schreckgespenst Wörth-Areal. Moderator Kurz machte dem aber couragiert den Garaus: „Bevor die Büchse Wörth aufgemacht wird, gehen wir lieber zum nächsten Thema.“
Klar, ein jeder Pate von einem jeden Veranstalter wollte für seine Mühe und die Gewichtigkeit seines Themas mit genügend Zeit und Aufmerksamkeit gewürdigt werden. Natürlich zu Recht. Denn schließlich ging’s auch noch um solche Themen wie „Wachstum und demografischer Wandel“ mit Pate Jens-Heiko Adolf, „Energie und Klimaschutz“ mit Otmar Braune, „Freiräume für Kinder und Jugendliche“ mit Christine Roos, „Integration und Vielfalt“ mit Julia Rieger und „Frauen“ mit Anne Haasis. Schließlich lautete das Motto des Abends auch „Suchet der Stadt Bestes“, wie Laurentius-Pfarrer Markus Lautenschlager eingangs in seiner Begrüßung den Propheten Jeremiah zitierend verkündet hatte.
Das Motto des Abends lautete „Suchet der Stadt Bestes“
Bleibt nur zu hoffen, dass jeder Gast all die mehr oder minder konkreten Positionen der an diesem Abend fünf Kandidaten bei seiner Entscheidungsfindung noch parat hat. Das wäre freilich ein ambitionierter Vorsatz – beinahe so ambitioniert wie der Vorsatz der Veranstalter, so viele Themen in so kurzer Zeit unter einen Hut zu bringen.
Bei all der vermeintlichen Informationsvielfalt an diesem Abend ließ die Schlussrunde denn letztlich doch nur Gutes für die Stadt erwarten. Da nämlich musste ein jeder Kandidat einen Satz von Moderator Kurz vollenden, um zu skizzieren, wie sein Nürtingen zum Ende der kommenden Amtsperiode im Jahr 2020 aussehe. Rosig sieht’s aus, bei jedem. Wen wundert’s? Schließlich war ja doch Wahlkampf in der Kreuzkirche. Und schließlich ging’s ja doch um die Kreuzfrage.