OB-Kandidaten: Sachlichkeit war Trumpf

„Leser fragen, Kandidaten antworten“: 900 Bürger folgten der Einladung der Nürtinger Zeitung zur Wahlveranstaltung ins K3N

Auch aus dem großen Publikum wurden Fragen an die Kandidaten gestellt. Foto: Holzwarth

VON UWE GOTTWALD UND ANDREAS WARAUSCH

Fast bis auf den letzten Platz besetzt war der Festsaal der Stadthalle K3N am Mittwochabend. Die Nürtinger Zeitung hatte zur Vorstellung der Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl am 9. Oktober geladen, 900 Leser waren gekommen.  Und sie hatten zuvor Fragen an unsere Zeitung geschickt, mit denen NZ-Redaktionsleiterin Anneliese Lieb und ihr Kollege Jürgen Gerrmann die Kandidaten konfrontierten.

NÜRTINGEN. Rund zweieinhalb Stunden harrten die Gäste aus. Themenkomplex um Themenkomplex wurde abgehakt. Auch das Stehvermögen der Kandidaten wurde gefordert. Sachlichkeit blieb dabei weitgehend Trumpf, persönliche Angriffe blieben so gut wie aus. Ein versöhnlich klingender Ton – just zum Auftakt der heißen Phase des Wahlkampfs.

Was trieb die Leser um? Was bewegt die Nürtinger? Mit welchen Themen wird sich einer der Kandidaten dann als gewählter Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt in den kommenden acht Jahren beschäftigen müssen, dürfen? Natürlich spielt da die weitere Entwicklung der Stadt, auch die Entwicklung der Innenstadt mit dem Einzelhandel eine gewichtige Rolle. Ein Leser empfindet Nürtingen als „Geisterstadt“, in der am Wochenende „die Bürgersteige hochgeklappt“ werden. Für diese Frage schon gab’s den ersten Szenenapplaus des Abends. Alle Kandidaten bejahten die Notwendigkeit eines Konzepts. Das Konzept lasse sich aber nicht in nur einer Amtszeit verwirklichen, sagte Raimund Bihn. Es gelte, die „Fußgängerzone als Fußgängerzone“ zu beleben. Es brauche zudem mehr Aktionen wie „Feuer und Flamme“, so Bihn.

Petra Geier-Baumann will Bürger, Gewerbe und Umland am Konzept beteiligen. An Nürtingen als Einkaufsstadt störten sie die uneinheitlichen Öffnungszeiten. Otmar Heirich verwies darauf, dass dem Gemeinderat ein Vorschlag für ein integratives Stadtentwicklungskonzept vorgelegt worden sei. Laut Umfrage würden mehr Flächen für den Einzelhandel benötigt. Kleinere Einheiten schreckten aber Läden mit größerem Flächenbedarf bislang ab, vielleicht könne im Bereich Busbahnhof/Oberer Steinenberg Abhilfe geschaffen werden.

Das Parkangebot in der Innenstadt soll verbessert werden

Sebastian Kurz will in seinem Konzept die Neckarsteige als Fußgängerzone ausweisen, eine Änderung der Einbahnstraßen- Richtung genüge nicht. Zudem soll der Bereich mit dem Schlossberg verquickt werden. Nötig seien mehr gastronomische Betriebe und ein zusätzliches Kaufhaus, eventuell am Busbahnhof.

Laut Andreas Deuschle wiederum soll der Schillerplatz von der Buslinie befreit und mit Gastronomie belebt werden. Die Parksituation müsste in der Innenstadt verbessert werden, mit einem einstündigen Gratis-Parkangebot. Am Parkangebot will auch Friedrich Buck feilen. Ein Konzept müsse zudem mit den Bürgern und der Öffentlichkeit diskutiert werden und alle Themen, nicht nur die städteplanerischen, erfassen. Detaillösungen könne er noch nicht anbieten.

Auch die Zukunft des Heim-Areals beschäftigte unsere Leser. Ein Investor, sagte Friedrich Buck dazu, müsse ein Gesamtlösung für das für das Stadtbild wichtige Areal anbieten, die den denkmalgeschützten Bereich einschließe. So sieht auch Raimund Bihn die Zukunft des „Tors zur Stadt“, das für Petra Geier-Baumann „Pförtnerwirkung“ hat. Diese sollte in einer Kombination von alten und neuen Komplexen zum Eintritt in die Stadt anregen. Wenn der denkmalgeschützte Bereich nicht den Zuspruch des Investors finde, könne eventuell auch die Stadt diesen Bereich anpacken und dann vermieten, überlegte Otmar Heirich. Dieser Überlegung schloss sich Andreas Deuschle an, der die Geschäfte am Neckar unten auf Vordermann bringen will. So wie Sebastian Kurz, der auf die vielen „verwahrlosten Ladenflächen“ hinwies und das Areal zusammen mit der Neckarsteige aktivieren will. Allen Kandidaten wichtig ist das Andenken des Dichters Friedrich Hölderlin. So OB-Kandidaten: Sachlichkeit war Trumpf „Leser fragen, Kandidaten antworten“: 900 Bürger folgten der Einladung der Nürtinger Zeitung zur Wahlveranstaltung ins K3N sind sich alle darin einig, dass der Hölderlin- Brunnen hinter der Kreuzkirche erhalten und saniert werden soll. Und das Hölderlinhaus? Soll es zum Beispiel künftig das sogenannte Sattler-Editionsarchiv zur Frankfurter Hölderlin-Ausgabe beherbergen? Auch wenn sich hier das Hintergrundwissen der Kandidaten stark unterschied: Alle wollen das Haus erhalten und das Archiv, wenn es denn bezahlbar wäre, nach Nürtingen holen.

Übrigens sehen die Kandidaten Hölderlin auch als Tourismusfaktor. Und wie wollen sie überhaupt den Tourismus in der Hölderlinstadt stärken? Ein Bootsverleih am Neckar könnte sich Friedrich Buck vorstellen. Zudem brauche man mehr Unterkünfte für Radfahrer.

So sieht das auch Otmar Heirich, der von steigenden Touristenzahlen in den letzten Jahren sprach: Es mangele an Privatunterkünften, zudem müsse der Neckartal-Radweg besser beschildert werden. Auch Sebastian Kurz sieht im Radverkehr die touristische Zukunft der Stadt. Allerdings brauche es seiner Ansicht nach bei einer 36-prozentigen Quartierauslastung keine neuen Unterkünfte. Und: Man müsse etwas aus der Flusslage machen. So wie Andreas Deuschle. Der will das Wörth-Areal lieber nicht bebauen, sondern für alle zugänglich machen. Im Übrigen will auch er die Radwege verbessern.

Auch Petra Geier-Baumann schaut zum Neckar. Sie glaubt, dass Auswärtige Kleinode, wie das Café am Ruderclub, nicht fänden. Die müsse man bewerben, eventuell auch auf der Smartphone-Schiene. Raimund Bihn legt das Hauptaugenmerk auf Nürtingen als Studentenstadt. Die gelte es zu beleben. Reisemobilstellplatz und I-Punkt im Rathaus seien richtige Schritte.

Das Gewerbegebiet Großer Forst war wohl eines der strittigsten Themen in den vergangenen Jahren. Zwei Leserfragen zeigten die Konfliktlinie auf. Zum einen wurden die Kandidaten danach gefragt, ob sie Flächenverbrauch stoppen und den Großen Forst als Ackerland erhalten wollten. Zum anderen wurde nach Möglichkeiten gefragt, wie der Gewerbestandort Nürtingen gestärkt werden könne.

Soll der Große Forst als Ackerland erhalten bleiben?

Für ein Gewerbegebiet plädierten Bihn, Kurz und Heirich. Raimund Bihn dazu: „Es gibt Anfragen von Nürtinger Unternehmen nach größeren Flächen.“ Sebastian Kurz differenzierte: „Wir brauchen dort kein großes Logistikunternehmen, sondern mittelständische und zukunftsträchtige Dienstleistungsunternehmen.“ Otmar Heirich erinnerte: „Es gab eine Zeit, da wanderten viele Unternehmen notgedrungen ins Neuffener Tal ab.“ Es gebe nun wieder viele Anfragen. „Der Große Forst ist die einzige Fläche für große Betriebe, wir suchen nach einer vernünftigen Lösung “, so Heirich. Petra Geier-Baumann glaubt dagegen: „Es gibt weniger wertvolle Flächen als den Großen Forst, ich würde alle Möglichkeiten nutzen, um diesen freizuhalten.“ Friedrich Buck legte sich nicht fest: „Eine Gesamtkonzeption, mit Bürgern entwickelt, muss vor einer Entscheidung Flächen erheben.“ Andreas Deuschle ist gegen das Gewerbegebiet, es erhöhe das Verkehrsaufkommen.

Der Verkehr, sowohl aus Sicht des Autofahrers wie auch aus Sicht lärmgeplagter Anwohner, war ein weiterer Fragenkomplex. Angesprochen wurden vor allem die B 297 und die Neuffener Straße, auch der Lkw-Verkehr wird als Problem gesehen, vor allem seit der Autobahnen-Maut.

Otmar Heirich verwies auf den Antrag der Stadt beim Regierungspräsidium, für Lkw auf der B 297 ein Durchfahrtsverbot zu verhängen. Sebastian Kurz schloss sich an und kann sich das auch für die Neuffener Straße vorstellen, zumindest nachts. Raimund Bihn und Petra Geier-Baumann betonten: „Der Anlieferverkehr muss gewährleistet bleiben.“ Während Kurz, Bihn und Deuschle ganz allgemein eine Optimierung er Ampelschaltungen fordern, verwiesen Heirich und Geier-Baumann auf die Verkehrsmengen hin, außerhalb dieser Zeiten funktioniere die grüne Welle. Andreas Deuschle brachte eine Untertunnelung Neckarhausens ins Gespräch.

Geschwindigkeitskontrollen auf der Neuffener Straße halten alle für sinnvoll. Heirich und Kurz setzen darauf, den Verkehrsfluss auf der Südtangente mittels Ampelschaltungen und Kreisverkehren zu ertüchtigen und den Quell- und Zielverkehr des Neuffener Tals über die Max-Eyth-Straße durch das Gewerbegebiet zu lenken. Buck bekannte, Details zur Neuffener Straße nicht zu kennen und verwies auch in Verkehrsfragen auf ein Gesamtkonzept.

Leserfragen zur Kinderbetreuung bezogen sich vor allem auf Angebote für Eltern mit jüngeren Schulkindern, diese seien nachmittags und in den Ferien unzureichend. Otmar Heirich dazu: „Mein Ziel war es, mindestens für jeden Schultyp ein Ganztagesangebot bereit zu halten.“ Mit dem Ausbau der Realschule werde das gelingen. Weitere Anstrengungen müssten folgen, doch müsste das auch bezahlbar sein.

Petra Geier-Baumann sieht bei der Betreuung von Kindergartenkindern noch Bedarf an mehr Flexibilität, ebenso an den Schulen. Raimund Bihn meinte gar, es müsse Angebote bis 20 Uhr geben. Andreas Deuschle plädierte für den weiteren Ausbau von Ganztagesschulen mittels der Einbindung Ehrenamtlicher, vor allem mit Sportangeboten. Sebastian Kurz will Betreuungsangebote mit großen Firmen abstimmen und kann sich einen gemeinsamen Betriebskindergarten vorstellen. Im Schulbereich ist allen Kandidaten wichtig, dass Wahlfreiheit zwischen Ganztagesschulen und Regelschulen besteht.

In der Frage des Sportstättenbaus verwies Otmar Heirich auf die Anstrengungen der letzten Jahren. Er hob den Ausbau der Neckarau und den Bau von zwei Kunstrasenfelder hervor. Dringend notwendig sei eine weitere, große Sporthalle. „Das muss als nächstes dran sein.“ Diese Notwendigkeit betonten alle Kandidaten.

Eine gemeinsame Attacke ritten die Herausforderer gegen Amtsinhaber Heirich dagegen beim Thema Bürgerbeteiligung, das sie vor allem an der strittigen Diskussion um die Bebauung des Wörth-Areals festmachten und die auch aus dem Publikum angesprochen wurde. Raimund Bihn dazu: „Bürgerbeteiligung darf nicht wie in diesem Fall zum Alibi werden, sondern muss ergebnisoffen sein. Es könne nicht sein, dass fast Dreiviertel der Beteiligten sich für eine Bebauung von lediglich 40 bis 70 Prozent des Areals aussprechen und dann mehr als 80 Prozent herauskomme.

Petra Geier-Baumann betonte, Beteiligung müsse viel früher beginnen, nicht erst, wenn scheinbar vollendete Tatsachen geschaffen seien. Dem pflichteten Buck, Deuschle und Kurz bei. Geier-Baumann kann sich allenfalls eine lockere Bebauung vorstellen, davon profitiere auch das bestehende Wohnquartier. Dieser Meinung war auch Friedrich Buck. Der Zugang zum Neckar müsse offen sein. Buck provokant an Heirich: „Wenn bei einigen Fragen besser beteiligt worden wäre, hätten Sie jetzt nicht fünf Gegenkandidaten.“

Nachholbedarf in Sachen Bürgerbeteiligung?

Otmar Heirich verwies dagegen auf die Vorbildfunktion, die Nürtingen durch Bundespreise in Sachen Beteiligung attestiert worden sei. Er räumte aber ein: „Wir müssen daraus lernen, was in Nürtingen und im Land passiert.“ Die Bürger wollen direkter und transparenter beteiligt werden. „Da haben wir Nachholbedarf.“ Heirich ließ aber auch keinen Zweifel daran: „Die letzte Verantwortung hat der Gemeinderat, wenn man das parlamentarische System nicht grundsätzlich in Frage stellen will.“

Bei Fragen nach der Qualifikation für das Amt eines Oberbürgermeisters verwies Otmar Heirich naturgemäß auf seine Verwaltungserfahrungen, auf vielfältige Erfahrungen in der Kommunalpolitik, auf die Zahl von über 600 Mitarbeitern, die er führe, und auf ein Haushaltsvolumen von 106 Millionen Euro, das unter seiner Verantwortung bewirtschaftet werde. Mit solchen Zahlen und Erfahrungen konnte keiner der Kandidaten aufwarten. Sie verwiesen stattdessen auf Tugenden wie Bürgernähe und auf das Verantwortungsbewusstsein, das sie in ihren jeweiligen Berufen zur Geltung bringen müssten.

Nach der intensiven Runde kamen aus dem Publikum nur noch drei Fragen. Sie drehten sich um das Wörth-Areal, die Nürtinger Verschuldung und die Pflegesituation. Verschuldung wurde nicht allgemein verteufelt, doch müsse sie beherrschbar bleiben. Für die Pflege könne die Stadt nur entsprechenden Einrichtungen gute Rahmenbedingungen vorhalten, so der Tenor.