„Wir haben 25 Millionen Euro in Schulen investiert“

Oberbürgermeister Otmar Heirich blickt auf die ablaufende Amtsperiode zurück und wünscht sich, dass die Nürtinger mehr Selbstbewusstsein entwickeln.

Seit acht Jahren an der Spitze der Stadtverwaltung: Oberbürgermeister Otmar Heirich zieht im Interview Bilanz. Foto: Holzwarth

VON ANNELIESE LIEB

Im Oktober 2003 wurde Otmar Heirich zum Oberbürgermeister der Stadt Nürtingen gewählt. Im Januar 2012 läuft die erste Amtsperiode ab. Im Interview zieht Otmar Heirich Bilanz, zeigt auf, wo die Stärken der Stadt liegen und wo man Entscheidungen hätte anders treffen müssen.

Die ersten acht Jahre Ihrer Amtszeit gehen zu Ende. Sie kandidieren für eine zweite Wahlperiode. Welche Ereignisse sind Ihnen beim Blick zurück in positiver Erinnerung geblieben?

In positiver Erinnerung geblieben sind mir viele Veranstaltungen. Zum Beispiel das „Pfännle“, Mission Olympic oder die öffentliche Anerkennung für die Nürtinger Engagementkultur durch die Verleihung des Engagementpreises in Berlin. Ich habe mich aber auch gefreut über so positive Prozesse wie zum Beispiel die Planung und Gestaltung des Enzenhardtplatzes. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die große Zustimmung der Bevölkerung zum verkehrsfreien Stadthallenplatz – am Anfang meiner Amtszeit ein eher umstrittenes Vorhaben. Positiv ist auch das Opern Air oder die Verlagerung des Weihnachtsmarktes an die Stadtkirche. Diese Gemeinschaftserlebnisse innerhalb der Stadt sind mir sehr positiv in Erinnerung geblieben.

Gab es Entscheidungen, die Sie mit dem Wissen von heute anders getroffen hätten?

Sicher. Bekanntlich ist man hinterher oft schlauer als vorher. Beispielsweise war mir beim Thema Großer Forst am Anfang nicht bewusst, dass dies in der Stadt ein strittiges Thema sein könnte. Denn mir wurde gesagt, dass die Entscheidung des Gemeinderats vor einigen Jahren gefallen sei und auch die Gründung des Zweckverbandes Wirtschaftsraum Nürtingen die Folge dieser Entscheidung war. Mir war nicht bewusst, dass man dieses Thema nochmals politisch zu diskutieren hat. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich viel früher eine umfangreiche Bürgerbeteiligung eingeleitet. Das Gleiche gilt für die Planung Hölderlinhaus oder die Bebauung des Wörth-Areals.

Der Große Forst, der geplante Verkauf des FKN-Geländes und die Wörth-Bebauung waren in den zurückliegenden Jahren strittige Themen. Hätte man die Bevölkerung von Anfang an besser einbinden müssen?

Ja. Das Problem ist, wie bereits erwähnt, dass man am Anfang nicht weiß, wie groß das öffentliche Interesse an einzelnen Themen ist. Jetzt gilt es die Konsequenz aus diesen Erfahrungen zu ziehen. Die Verwaltung muss unabhängig von den einzelnen Themen von Anfang an mehr Transparenz schaffen. Man muss auch deutlich machen, warum welche Überlegungen angestellt werden. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass wir viel mehr öffentlich beraten müssen. Es handelt sich aber auch um eine gesellschaftliche Entwicklung, die ja nicht nur in Nürtingen Platz greift. Überall wollen die Menschen früher informiert werden. Sie wollen mehr Öffentlichkeit haben. Sie wollen mehr Transparenz haben und darauf muss eine Verwaltung reagieren – das werden wir auch tun.

In Teilen der Bevölkerung nimmt die Unzufriedenheit zu. Es gibt Kritik an der Verwaltung und an den Entscheidungen des Gemeinderats. Wie gehen Sie als OB mit solchen Entwicklungen um?

Für mich ist es wichtig, dass wir Entwicklungsprozesse mehr und breiter diskutieren. Wir werden dadurch im Einzelfall trotzdem noch unterschiedliche Auffassungen haben, aber ich bin der Meinung, dass die Bevölkerung Entscheidungen und Entscheidungsfindungen dann eher akzeptieren kann, wenn gemeinsame Grundlagen für eine Stadtentwicklung geschaffen werden. Fragen muss man sich zum Beispiel, ob an der einen Stelle eine Bebauung sinnvoll ist, ein Park gestaltet oder ein Einkaufsbereich geschaffen werden sollte. Wenn man dies breit diskutiert und es einen Grundkonsens gibt innerhalb der Bevölkerung, dann wird in Einzelfällen die Entscheidung leichter fallen. Ich muss einfach auch feststellen, dass sich da insbesondere in den letzten Jahren eine Umorientierung in der Bevölkerung ergeben hat. Die Menschen wollen mehr und früher mitreden und das ist gut so.

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat?

Grundsätzlich gut. Man muss auch mal zur Kenntnis nehmen, dass bei allen kontroversen Themen mehr als 90 Prozent der Entscheidungen einstimmig gefällt wurden. Das ist einfach so. Aber ich halte es für notwendig, dass der Gemeinderat in den nächsten Jahren mehr kooperiert. Im Interesse der Stadt Nürtingen müssen wir vielleicht auch früher miteinander über strittige Themen reden. Die Fraktionen untereinander und mit der Verwaltung, um Konfliktpunkte im Konsens zu lösen. Das Wohl der Stadt Nürtingen sollte immer im Vordergrund stehen. Parteipolitische oder gruppenspezifische Interessen sollten hier zurückstehen.

Wie hat sich die finanzielle Situation der Stadt während Ihrer Amtszeit entwickelt?

Wir haben in den letzten acht Jahren unglaublich schwierige finanzielle Verhältnisse gehabt. Kurz nach meinem Amtsantritt gab es die erste Finanzkrise. Dabei sind die Finanzen der Stadt massiv zusammengebrochen. Nürtingen ist eine sehr finanzschwache Stadt. Nun haben wir seit zweieinhalb Jahren die zweite noch größere Finanzkrise, das heißt, wir haben kaum Zeit gehabt, dass die Stadt sich mal konsolidieren konnte. Gemeinderat und Verwaltung haben es trotz aller Widrigkeiten fertiggebracht, dass wir zwischenzeitlich den Haushalt entschuldet haben und trotz schwieriger Rahmenbedingungen doch viele Projekte auf den Weg gebracht haben. Das muss man auch sehen.

Eines Ihrer Wahlkampfthemen vor acht Jahren war die Umkehr der Fahrtrichtung in der Neckarsteige. Der Kreisverkehr an der Neckarbrücke ist gebaut. Aber die Autos fahren immer noch aus der Stadt raus. Wie weit sind die Bemühungen gediehen?

Die Brücke und den Stadteingang attraktiver zu gestalten war mir von Anfang an ein Anliegen. Der nächste Punkt, an dem wir jetzt dran sind, ist, den alten Neubau Heim abzureißen und zu ersetzen und das Eckgebäude mit dem Erker zu sanieren.

Wird die IHK-Bezirkskammer in einem Neubau Räume anmieten?

Ja, das wird was. Wir werden das Gebäude bauen. Der Entwurf ist vom Gemeinderat beschlossen worden. Der Vorschlag hat eine große Akzeptanz gefunden. Wir gehen davon aus, dass das Vorhaben im kommenden Jahr umgesetzt wird.

Und was ist mit der Umkehr der Fahrtrichtung in der Neckarsteige?

Es gab hier ursprünglich große Probleme. Die Polizei ist sehr skeptisch, ob dies sinnvoll ist. Und auch die Firma Norma beziehungsweise der Eigentümer der Passage 33 waren sehr skeptisch. Doch in der letzten Woche haben wir uns nochmals zusammengesetzt. Dann wurde einer probeweisen Änderung der Fahrtrichtung zugestimmt. Das heißt, ich werde in der ersten Sitzungsrunde nach der Sommerpause eine Vorlage der Verwaltung einbringen, in der alle Problempunkte aufgeführt sind. Die Verwaltung wird den Vorschlag machen, diesen Versuch mit der Umkehrung der Fahrtrichtung zu starten.

Sie sind vor acht Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Kinderbetreuung vom Kindergarten bis zur Schule zu verbessern. Erfüllt Nürtingen die Anforderungen des Gesetzgebers bis zum Jahr 2013?

Wir sind auf einem guten Weg. Wenn Bund und Land finanziell mitziehen, dann ist Nürtingen bereit, seinen Anteil dazu zu bringen. Wir haben die Anzahl der Betreuungsplätze von 1 bis 3 Jahre massiv gesteigert. Überall wird gesagt, wir brauchen mehr Bildung, also sollte man da auch finanziell die Voraussetzungen dafür schaffen. Ich fühle mich bestätigt, dass ich dieses Thema vor acht Jahren in den Mittelpunkt meiner Bemühungen gestellt habe. Als ich nach Nürtingen kam, war das Thema Ganztagsbetreuung in Schulen und Kindergärten noch höchst umstritten. Das hat sich völlig geändert. Mittlerweile steht fast der ganze Gemeinderat dahinter. Auch Bund und Land haben das Thema in den letzten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt gestellt.

Wird nächstes Jahr das Kinderhaus in der Stadtmitte eingeweiht?

Ja, das Kinderhaus Pfluggarten wird 2012 eingeweiht. Außerdem haben wir im Enzenhardt das Gemeindehaus gekauft und dort die Räume für zwei Gruppen für die Betreuung von unter Dreijährigen umgestaltet. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass auch private Träger in die Bedarfsplanung aufgenommen wurden. Mitte September wird zum Beispiel auf dem ehemaligen Schöll-Areal eine neue Ganztagsgruppe eröffnet. Insgesamt hat sich in Sachen Kinderbetreuung in Nürtingen unglaublich viel getan in den letzten Jahren. Wir werden diesen Weg weitergehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies für eine Stadt wie Nürtingen ein absoluter Standortvorteil ist.

Viel Geld wurde während Ihrer Amtszeit in den Bereich Bildung investiert. Im Herbst soll der Spatenstich für die Realschulerweiterung erfolgen. Gibt es Zahlen darüber, wie viel Geld in den letzten Jahren in Schulbauten investiert wurde?

Reine Investitionen, wenn wir die Realschulerweiterung dazurechnen, sind es knapp unter 25 Millionen. Eingerechnet sind hier der MPG-Erweiterungsbau samt Umbau der Fachräume und energetischer Sanierung, die Erweiterung der Grundschule Reudern, Erweiterung der Mörikeschule mit Mensa, die HöGy-Erweiterung und die energetische Sanierung der Ersbergschule. Gigantische Investitionen. Rechnet man dann noch das Kinderhaus Pfluggarten und den Umbau des Gemeindehauses Enzenhardt dazu, sind die Zahlen erheblich höher. Das ist ein Kraftakt unter ganz schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen. Dabei einigermaßen gesund gewirtschaftet zu haben, das rechne ich mir schon an. Wäre jetzt die Finanzkrise nicht gekommen, hätten wir die Stadt fast entschuldet.

Zusätzliche Kinderbetreuung erfordert aber auch mehr Personal.

Ja, wir werden auch im Kindergartenbereich weiter investieren müssen. Da sind zum einen die Vorgaben des Orientierungsplans, die umgesetzt werden müssen. Wenn wir Qualität im Kindergartenbereich haben wollen, ist die Voraussetzung qualifiziertes Personal. Auf lange Sicht werden wir in unseren Kinderbetreuungseinrichtungen eine Leiterin installieren müssen. Ich halte dies für wichtig, vor allem im Hinblick auf die zunehmenden Anforderungen an die Arbeit in den Kindergärten. Ein Kompliment möchte ich in diesem Zusammenhang allen Mitarbeiterinnen machen, die auch jetzt schon sehr qualifiziert arbeiten.

Im Straßenbau hat sich einiges getan, es gibt aber auch noch Erwartungen der Bevölkerung. In einigen Stadtteilen macht man sich Hoffnung auf Ortsumfahrungen. Wie realistisch sind diese Erwartungen?

Unsere Ortschaften, die sich mit dem Thema Ortsumfahrung zu Recht beschäftigen, liegen entweder an Bundes- oder Landesstraßen. Deshalb ist die Stadt dafür primär nicht zuständig. Und wenn ich sehe, dass Bund und Land weniger Straßen bauen und den Schwerpunkt auf den Öffentlichen Personennahverkehr und den Ausbau der Radwege legen wollen, bin ich skeptisch. Ich glaube, wir müssen als Stadt versuchen, die Lebensbedingungen der Menschen gerade an diesen Hauptstraßen zu verbessern. Dazu kann man – da sind wir in Reudern gerade dabei – Lkw-Fahrverbote, Nachtfahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen einrichten. Aber ich glaube, wir müssen in Zukunft auch auf die Entwicklung der Technik setzen, auf mehr E-Mobilität und leisere und schadstoffärmere Fahrzeuge. Ich glaube nicht, dass wir das Problem mit immer mehr und neuen Straßen in den Griff bekommen, ich setze eher auf die technischen Weiterentwicklungen.

Es gibt Überlegungen, die Bereiche Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Tourismus unter einem Dach zu vereinigen oder eventuell in eine GmbH auszulagern. Welche Vorteile versprechen Sie sich davon?

Es geht nicht in erster Linie um eine Organisationsform, sondern es geht darum, dass diese Bereiche stark miteinander verzahnt sind. Wirtschaftsförderung, Tourismus und Citymarketing müssen besser miteinander verbunden werden, um schlagkräftiger zu werden – auch nach außen. Wir müssen unsere Stadt im Wettbewerb der Kommunen noch besser positionieren. Ich bin bei dem Thema ganz offen. Im Herbst wollen wir die Diskussion über die möglichen Organisationsformen führen. Das kann im Rathaus unter dem Dach eines Stabsteams passieren, das kann ein Eigenbetrieb sein, das kann auch eine GmbH sein. Wir werden Vertreter anderer Städte einladen und uns über deren Erfahrungen berichten lassen. Erst dann entscheiden wir. Fakt ist, wir müssen professioneller auftreten. Alles ehrenamtlich oder nur mit einzelnen Personen zu machen, die nur bedingt miteinander kooperieren, das ist nicht die Zukunft.

Der Landkreis hat auf dem Säer ein neues Krankenhaus gebaut. Als nächster Schritt steht der Umzug der Psychiatrie nach Kirchheim und damit die Vermarktung des Geländes an der Stuttgarter Straße an. Ziehen Landkreis und Stadt hier an einem Strang?

Auf jeden Fall. Wir sind der Auffassung, dass wir Wohnungen brauchen innerhalb der Stadt. Die Nachfrage ist unverändert groß. Das Gelände an der Stuttgarter Straße eignet sich für den Wohnungsbau und insofern sind Stadt und Landkreis hier einer Auffassung. Nur es ist so, und das ist auch beim Landkreis bekannt, dass wir in puncto Beteiligung von Gemeinderat und Bürgern nicht unterschiedliche Maßstäbe anlegen können. Unabhängig davon, ob ein Landkreis, eine Stadt oder ein privater Investor dort bauen möchten. Deshalb sind wir in die offene Bürgerbeteiligung gegangen. Auch die Gemeinderäte haben Wünsche und Anforderungen an die Bebauung formuliert. Diese Wünsche und Forderungen werden derzeit mit dem Landkreis diskutiert. Anschließend werden wir ins Bebauungsplanverfahren gehen. Da gibt es eigentlich keinen Dissens mit dem Landkreis.

Herr Heirich, was gefällt Ihnen besonders gut in Nürtingen?

Toll ist die Lage der Stadt Nürtingen, am Neckar und am Albtrauf. Auch jeder Besucher, der von außerhalb kommt, hebt die Lage, umgeben von viel Grün, hervor. Von jedem Punkt der Stadt ist man in zehn Minuten irgendwo im Grünen. Ob das jetzt das Tiefenbachtal ist, der Ersberg, das Roßdorf oder der Galgenbergpark und die Oberensinger und Neckarhäuser Höhe. Sehr gut ist auch die Infrastruktur. Es gibt in Nürtingen gute Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Ärzte und gute Nahverkehrsanbindungen. Außerdem zeichnet die Stadt ein unglaublich umfangreiches Kulturangebot aus. Für eine Stadt unserer Größenordnung ist die Veranstaltungsvielfalt einzigartig. Angefangen vom Opern Air über das Gitarrenfestival, die Jazztage, die Musiknacht oder die Kunstausstellungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Mir gefällt auch der unglaublich hohe Anteil ehrenamtlich engagierter Menschen innerhalb der Stadt. Wir haben eine wirklich schöne, erfolgreiche Stadt und ich würde mir wünschen, dass die Nürtinger mehr Selbstbewusstsein entwickeln und ganz bewusst sagen: Ich bin Nürtinger, ich bin stolz auf meine Stadt.