Grau distanziert sich von Wahlaktion

Die Nürtinger Bürgermeisterin zur Internet-Kampagne: „Habe sie weder veranlasst noch in irgendeiner Weise befördert“

Der OB-Wahlkampf stößt auf bundesweites Interesse. Der Grund dafür sind indes nicht die drei Kandidaten auf dem Stimmzettel, sondern eine schon vor dem ersten Wahlgang angezettelte Internet-Kampagne. Inzwischen wurden auch Flyer an alle Haushalte mit einer Wahlempfehlung für Claudia Grau verteilt. Die Bürgermeisterin distanziert sich von der Aktion.

VON ANNELIESE LIEB

NÜRTINGEN. 709 Wählerinnen und Wähler haben am 9. Oktober bei der Nürtinger Oberbürgermeisterwahl ihr Kreuz nicht etwa hinter dem Namen von einem der sechs Kandidaten gemacht, sondern ihre Stimme für Claudia Grau abgegeben. Im Internet kursierten schon Tage vor dem Urnengang E-Mails und Facebook-Einträge, in denen für diese Variante der Wahlbeteiligung geworben wurde.
Drei Kandidaten sind im zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten: Raimund Bihn, Petra Geier-Baumann und Friedrich Buck. Der von Teilen der Fraktion Nürtinger Liste/Grüne unterstützte Weilheimer Diplomingenieur Buck hat es indes nicht beim Rückzug belassen, sondern eine Wahlempfehlung für Claudia Grau ausgesprochen, ohne dies freilich mit der Nürtinger Bürgermeisterin abzustimmen. Die 47-Jährige, die erst seit Mai im Amt ist, hatte deutlich gemacht, dass sie nur dann für den zweiten Wahlgang zur Verfügung stehen würde, wenn der amtierende Oberbürgermeister nicht mehr antrete. Da Oberbürgermeister Heirich, der am 9. Oktober 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, auch im zweiten Wahlgang antreten wird, war es eigentlich keine Frage, dass Grau nicht als weitere Bewerberin zur Verfügung steht. Das hat die Bürgermeisterin, die außerdem betont, nicht hinter der Internet-Kampagne zu stehen, in einer Erklärung in der Gemeinderatssitzung am 11. Oktober bekräftigt. Davon haben sich die Initiatoren der Wahlaktion nicht beeindrucken oder gar beeinflussen lassen. Statt dessen haben die Grau-Befürworter ihre Aktivitäten weiter ausgedehnt.
In den zurückliegenden Tagen wurden an Nürtinger Haushalte Flugblätter verteilt, auf denen die Bürger aufgefordert werden, am 23. Oktober den Namen Claudia Grau von Hand auf dem Stimmzettel einzutragen.
Viele Nürtinger sind durch die Aktion verunsichert und fragen sich nun, was passiert, wenn Claudia Grau am Sonntag mehr Stimmen bekommt als einer der drei auf dem Stimmzettel stehenden Kandidaten. Nimmt sie die Wahl dann an? Wir wollten gestern von ihr eine Antwort auf diese Frage. Die blieb uns die Nürtinger Bürgermeisterin allerdings schuldig. Wegen eines Todesfalls in der Familie ließ Grau durch die Pressestelle der Stadt Nürtingen bekanntgeben, dass sie bereits im Rahmen der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 11. Oktober eine Stellungnahme zur OB-Wahl abgegeben habe. Sie könne ihre damalige Aussage nur wiederholen. Da Oberbürgermeister Heirich weiterhin zur Wahl stehe, stehe sie nach wie vor nicht als OB-Kandidatin zur Verfügung. „Ich beteilige mich nicht an Wahlaktionen, habe sie weder veranlasst, noch in irgendeiner Weise befördert.“ Sie sei erst vor kurzer Zeit gewählt worden und habe einen Auftrag als Bürgermeisterin zu erfüllen. „Alle Schritte und Äußerungen meinerseits waren und sind mit OB Heirich abgesprochen“, heißt es in der Pressemitteilung.

„Ich bin entsetzt über die Wahl-Kampagne“
Oberbürgermeister Otmar Heirich

Und wie beurteilt der amtierende Nürtinger Oberbürgermeister die Kampagne der Grau-Befürworter? „Ich bin entsetzt über die Kampagne, weil ich die Aktion mit meinem demokratischen Grundverständnis nicht vereinbaren kann“, so Otmar Heirich. Diejenigen, die bei kommunalpolitischen Fragen Transparenz, Offenheit und Bürgerbeteiligung einfordern, würden in diesem Fall ihre eigenen Maßstäbe missachten. Er selbst, so Heirich weiter, sei der Auffassung, dass jemand, der sich für ein Amt interessiere, sich auch bewerben und der Bevölkerung für Fragen und Diskussionen zur Verfügung stehen sollte. Erst dann könne der Wähler beurteilen, ob die Kandidatin oder der Kandidat wählbar sei. „Dies alles scheint für die Initiatoren der Internet- und Flyer-Aktion uninteressant zu sein. Sie erwarten, dass der Wähler die Katze im Sack kauft.“
Außerdem, so Otmar Heirich, werde hier jemand, der ausdrücklich betont habe, dass er nicht kandidiere, genötigt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen. „Dies alles halte ich für außerordentlich undemokratisch.“ Hier werde versucht, eine Kandidatin durch die Hintertür zu lancieren, ohne jegliche Beteiligung der Öffentlichkeit. „Für mich haben die Initiatoren dieser Kampagne ihre politische Unschuld verloren.“ Heirich hofft, dass die Nürtinger so vernünftig sind, „sich dagegen zu wehren, dass ihnen eine Kandidatin aufgezwungen werden soll, die dies gar nicht will“. Für die Initiatoren der Wahlaktion, so Heirich abschließend, sei die OB-Wahl offensichtlich ein Event oder eine Spielerei, bei der es ihnen anscheinend gar nicht um das Wohl der Stadt gehe.
Befremdlich für manchen Nürtinger Bürger ist, dass auch ein Nürtinger Noch-Stadtrat der CDU-Fraktion mitmischt. Felix Tausch, der Ende September nach Leinfelden-Echterdingen umgezogen ist und im November aus dem Nürtinger Gemeinderat verabschiedet wird, hat die „Wählt-Grau“-Mail auch erhalten. Er hat sie allerdings nicht nur gelesen und abgelegt, sondern mit dem Hinweis weitergeschickt: „?.?.?.?ich leite sie euch zur Kenntnisnahme und als Abwägungsmaterial für die OB-Wahl nächsten Sonntag weiter.“ Tausch war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Thaddäus Kunzmann, der Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion, sagte dazu, Felix Tausch sei nicht mehr im Vorstand der CDU und auch nicht mehr in der Fraktion. Wenn Tausch Wahlwerbung machen wolle, dann halte er, Kunzmann, dies für legitim. Die CDU-Gemeinderatsfraktion habe vereinbart, dass man sich zur OB-Wahl nicht äußern werde und auch keine Wahlempfehlung für einen Kandidaten abgebe – auch nicht für den Bewerber Sebastian Kurz, der CDU-Mitglied ist.
Nun heißt es abwarten, wer am kommenden Sonntag die meisten Stimmen bekommt. Der Sieger benötigt im zweiten Wahlgang nur noch die einfache Mehrheit – im Gegensatz zum ersten Wahlgang, in dem die absolute Mehrheit erforderlich ist.